Perspectives 07.11.2023

Anleihen: Immer kürzere Laufzeiten bei der Verschuldung

PERSPECTIVES | Nr. 28 

  • Die durchschnittliche Laufzeit von Unternehmensschulden ist im Zuge der Zinswende stark gesunken.
  • Entweder emittieren Unternehmen bewusst kurzlaufende Schuldverschrei­bungen oder die starke Marktnachfrage zwingt sie dazu.
  • Ein selektives Vorgehen bei Anlageentscheidungen ist die beste Absicherung gegen steigende Liquiditäts- und Kreditrisiken.


Vor bald zwei Jahren leitete die Federal Reserve die Zinswende ein, die EZB folgte wenig später. Inzwischen liegen die Leitzinsen in den USA im Intervall von 5,25 bis 5,5 Prozent und in der Euro­zone bei 4,5 Prozent. Zudem haben die Währungshüter begonnen, die Anleihebestände in ihren Bilanzen zu reduzieren. Die Effekte der restriktiven Geldpolitik auf die Marktwirtschaft sind vielfältig. Unternehmen, die sich jahrelang günstig refinanzieren konnten, sehen sich mit deutlich ausgeweiteten Credit Spreads und gestie­genen Kupons konfrontiert. Sie sind gezwungen, ihre Finanzie­rungs­strategien an das neue Zinsumfeld anzupassen.

Robustheit der Weltwirtschaft


Die Weltwirtschaft präsentiert sich wieder einmal robuster als allgemein erwartet. Die düsteren Prognosen der Ökonomen haben sich bisher nicht bewahrheitet. Das starke Wachstum der USA und der großen Länder der Emerging Markets – insbesondere Indiens – konnte die schwache Konjunktur in Europa weitgehend kompensieren. Unterstützt durch die stärkere Nachfrage zeigt der Welthandel zudem Erholungstendenzen. Perspektivisch dürften exportorientierte Länder wie Deutschland davon profitieren und im Sog der großen Handelsmächte USA und China mitwachsen.

1. Durchschnittliche Restlaufzeiten europäischer Anleihen
 

An den Rentenmärkten hat sich die durchschnittliche Restlaufzeit der ausstehenden Anleihen stark verkürzt. Im europäischen In­vestment Grade-Bereich ist diese seit Ende des Jahres 2021 von knapp sechs Jahren auf unter fünf Jahre gesunken. Im High Yield-Segment sieht es ähnlich aus, hier beträgt die durchschnittliche Restlaufzeit inzwischen nur noch 3,6 Jahre. Während es sich im Investment Grade-Segment eher um eine Normalisierung der Fäl­ligkeiten nach einer Phase hoher Neuemissionen im Zuge der günstigen Kreditfenster nach der Corona-Pandemie handeln dürf­te, ist die durchschnittliche Restlaufzeit für europäische Hoch­zinsanleihen so niedrig wie nie.

Das ist bemerkenswert, da die Zinsstruktur in Europa und in den USA im Moment invers ist. Für das Absinken der Restlaufzeiten gibt es in diesem Umfeld zwei plausible Erklärungen. Entweder emittieren Unternehmen absichtlich eher kurzlaufende Schuld­verschreibungen oder die starke Nachfrage der Investoren nach Kurzläufern zwingt sie dazu. Wenn Unternehmen bereit sind, sich zu höheren kurzfristigen Zinsen zu refinanzieren als über langlau­fende Schuldtitel mit geringeren Kuponzahlungen, ist das erst ein­mal mit höheren Kosten verbunden. Das Kalkül dahinter: Die Konzerne spekulieren darauf, dass die Zinssätze in der Zukunft sinken, mit der Absicht, sich später zu attraktiveren Bedingungen zu refinanzieren. Sie möchten daher langfristige Verpflichtungen zu hohen Zinsen vermeiden. Auf der anderen Seite können Inves­toren in einem Umfeld steigender Zinssätze kurzfristigere Anlei­hen bevorzugen. Diese weisen aufgrund der geringeren Duration weniger Preisschwankungen auf und sind flexibler, da sie eine schnellere Reallokation des eingesetzten Kapitals ermöglichen. Unternehmen kann es dann mangels Nachfrage schwerfallen, lang­laufende Schulden am Markt zu platzieren. Eine Veränderung in den Vorlieben der Anleger könnte daher ebenfalls zur Verrin­ge­rung der durchschnittlichen Laufzeit von Anleihen beigetragen haben.

Die Risiken für Herabstufungen und Ausfälle durch die Kombination geringer Laufzeiten und hoher Zinsen steigen.

 

MULTI ASSET IM PORTRÄT
 

Solche Trends bergen jedoch Risiken, vor allem dann, wenn die Zinssätze hoch bleiben. Mit der Verkürzung der Laufzeiten erhöht sich das Liquiditätsrisiko der Unternehmen. Anstehende Verbind­lichkeiten müssen entweder zu höheren Kosten refinanziert oder ein signifikanter Teil des Cash Flows für den Schuldendienst auf­gewendet werden. Dies drückt die Profitabilität und limitiert das für zukünftige Investitionen verfügbare Kapital. Die finanzielle Be­las­tung durch kurze Laufzeiten und hohe Zinssätze verschärft zu­dem das Kreditrisiko, da sie zu einer Herabstufung der Kreditwür­digkeit führen kann. Eine Verschlechterung der Bonitätsbewer­tung kann die Finanzierungskosten erhöhen und die Aufnahme neuer Schulden erschweren, insbesondere dann, wenn die Um­sätze aufgrund der schlechten Wirtschaftslage zurückgehen. Dies kann wiederum einen Teufelskreis in Gang setzen, in dem höhere Zinskosten die Finanzen weiter belasten, was potenziell zu weite­ren Herabstufungen der Kreditwürdigkeit führen kann.

 

Für den Anleger

 

Das gegenwärtige Umfeld hält einige Herausforderungen für An­leiheanleger bereit. Auf der einen Seite liegen die Credit Spreads vor allem im High Yield-Segment nach wie vor auf attraktivem Niveau. Allerdings sind die Risiken für Herabstufungen und Aus­fälle durch die Kombination geringer Laufzeiten und hoher Zinsen gestiegen. Die schwache globale Wirtschaftslage tut ihr Übriges und erfordert ein sehr selektives Vorgehen bei Anlageentschei­dungen im Fixed Income-Bereich.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 3. November 2023 auf der Website der Börsen-Zeitung.

CIO Multi Asset

Thomas Romig

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