Perspectives 06.06.2025

Stressphasen an den Aktienmärkten. Gefahr oder Gelegenheit?

PERSPECTIVES | Nr. 33 

  • Die Historie zeigt: Nach Krisen erholten sich Aktienmärkte stets und erreichten anschließend sogar regelmäßig neue Höchststände.
  • Geschickte Investitionen während eines Bärenmarkts konnten in der Vergangenheit zu überdurchschnittlichen Renditen führen.
  • In Zeiten hoher Volatilität und geopolitischen Wandels ist breite Diversifikation entscheidend.


Aktienmärkte durchlaufen immer wieder Phasen erheblicher Belastung und Unsicherheit. In solchen Stress­phasen gehen die Kurse stark zurück, die Stimmung schwankt zwischen Angst und Pessimismus. Für viele Anleger scheinen diese Zeiten vor allem eine Gefahr zu sein – die Sorge vor dauerhaften Verlusten domi­niert das Handeln. Jüngst sorgte die erratische Zoll­politik der US-Regierung wieder für starke Kurs­verluste und hohe Volatilität an den Märkten. Doch Börsen­krisen stellen nicht nur Bedrohung für das Vermögen dar, sondern können auch Chancen bieten. Ein Blick auf die bewegte Historie der Aktien­märkte kann langfristig orientierten Anlegern helfen, Stress­phasen richtig einzuordnen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf historische Erfahrungen am Beispiel des US-amerikanischen Aktien­markts; vergleichbare Mus­ter gelten grundsätzlich auch für globale Märkte, wobei diese in Vergangen­heit häufig eine etwas geringere Dynamik und Robust­heit aufwiesen.

US-Crashs im Überblick


Seit 1945 gab es in den Vereinigten Staaten gemessen am S&P500® insgesamt zwölf Bärenmärkte, definiert als Kursrück­gänge von mehr als 20 Prozent. In der Regel wurden diese durch realwirtschaftliche Probleme oder exogene Schocks ausgelöst, welche das Vertrauen der Investoren erschütterten. Häufig – aber nicht immer – gingen Bärenmärkte mit Rezessionen einher: Sin­kende Unternehmensgewinne und steigende Arbeits­losigkeit schwächten die Erwartungen an die zukünftige Wirtschafts­entwicklung. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Ölkrise der Jahre 1973/74: Explodierende Energie­preise führten zu einer Stag­flation, der S&P500® brach in der Spitze um 48 Prozent ein.

Auch geldpolitische Straffungen lösten immer wieder erhebliche Markt­korrekturen aus. So führte der entschlossene Zinserhö­hungs­zyklus der US-Notenbank unter Paul Volcker Anfang der 1980er Jahre, mit dem die galoppierende Inflation bekämpft wurde, zu einer Rezession und deutlichen Kurs­verlusten an den Aktien­märkten. Ein ähnliches Muster zeigte sich zuletzt im Jahr 2022: Aus Furcht vor steigenden Zinsen und einer drohenden wirtschaftlichen Abschwächung rutschten die US-Märkte mit einem Minus von rund 25 Prozent erneut in einen Bärenmarkt.

Abb. 1: Historische Entwicklungen und Bärenmärkte des S&P500® seit 1945
1945 = 100, Kursindex, Logarithmische Skala

Neben zyklischen Schwankungen können auch strukturelle Un­gleichgewichte und Spekulationsblasen erhebliche Markt­korrek­turen auslösen. Das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 ist hierfür ein prägnantes Beispiel. Nach Jahren irrationaler Über­treibungen im Technologie­sektor korrigierten die Märkte scharf: Der S&P500® verlor zwischen März 2000 und Oktober 2002 rund 49 Prozent an Wert, während der Nasdaq-Index sogar um etwa 78 Prozent einbrach. Nur wenige Jahre später mündete die Immobi­lienkrise in den USA in eine globale Finanzkrise. Der Zusammen­bruch des Hypotheken­marktes und die damit verbundenen Schockwellen im Bankensektor lösten den schwersten Kursrück­gang der Nachkriegszeit aus – der S&P500® verlor zwischen 2007 und 2009 rund 57 Prozent seines Wertes.

Schließlich können exogene Schocks wie Kriege, geopolitische Konflikte, Handels­kriege oder Pandemien plötzliche Marktver­werfungen auslösen, selbst wenn die fundamentale wirtschaft­liche Lage zuvor robust erschien. So führte der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zu einem historischen Absturz: Innerhalb eines Monats verlor der S&P500® rund 34 Prozent an Wert – der schnellste derart massive Einbruch aller Zeiten.
 

Faktoren der Erholung


So unterschiedlich Ursachen und Verläufe schwerer Börsen­krisen auch waren – es lässt sich ein wiederkehrendes Muster erkennen: Nach jeder tiefgreifenden Korrektur erholten sich die Aktienmärk­te bislang vollständig und markierten im Anschluss neue Höchst­stände. Doch was erklärt diese bemerkenswerte Resilienz?

Ein zentraler Treiber liegt in den wirtschaftlichen Fundamental­daten. Rezessionen und Krisen setzen regelmäßig Anpassungs­prozesse in Gang, die über die Zeit stabilisierend wirken. Staat­liche Konjunkturmaßnahmen und expansive Geld­politik spielen dabei eine zentrale Rolle. Regierungen reagieren mit Investitions­programmen und fiskalischen Impulsen, während Notenbanken durch Zinssenkungen und Liquiditätsspritzen die Wirtschaft stüt­zen. So legten beispielsweise die massiven Interventionen der Zentralbanken und Regierungen nach der globalen Finanz­krise den Grundstein für eine langjährige wirtschaftliche Erholung. Auch im Zuge des Corona-Schocks wurden in kürzester Zeit geld- und fiskalpolitische Maßnahmen historischen Ausmaßes umge­setzt – mit dem Ergebnis, dass die globale Konjunktur (und später bekanntlich die Inflation) bereits im Folgejahr wieder deutlich anzog. Darüber hinaus führen einschneidende Krisen oftmals zu strengerer Regulierung. Nach der globalen Finanz­krise wurden etwa Kapital­anforderungen und Liquiditäts­vorschriften für Banken weltweit verschärft – ein Schritt, der die Stabilität des Finanz­systems nachhaltig verbesserte und so das Vertrauen der Markt­teilnehmer langfristig stärkte.

Die Aktienmärkte haben sich nach jeder tief­greifenden Korrektur voll­ständig erholt – und anschließend sogar neue Höchst­stände erreicht.

Zudem führen Marktkorrekturen häufig zu einer Neubewertung von Unternehmen. Übertreibungen werden abgebaut und fun­damentale Risiken wieder korrekt gepreist, während ineffiziente Geschäftsmodelle vom Markt verschwinden. Innovative Unter­nehmen gehen hingegen gestärkt aus Krisen hervor. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase etwa konnten sich auf dem Nährboden bereinigter Märkte erfolgreiche Technologieunternehmen etab­lieren, die heute zu den globalen Marktführern zählen.

Neben fundamentalen Faktoren spielt auch die Marktpsychologie eine bedeutende Rolle. Nach Phasen extremer Unsicherheit folgt oft eine schnelle Stimmungswende. Sobald die Angst weicht und erste Kursanstiege sichtbar werden, greifen viele Investoren wie­der zu. Gepaart mit dem Vertrauen in eine unterstützende Noten­bankpolitik kann eine Dynamik entstehen, die die Erholung zu­sätzlich befeuert.
 

Statistische Perspektive


Ein Blick auf die historische Entwicklung von Bärenmärkten in Tabelle 1 unterstreicht die langfristige Robustheit der Aktien­märkte. Zwar fällt die Dauer der Erholung nach markanten Kurs­einbrüchen sehr unterschiedlich aus – vom Corona-Crash im Jahr 2020, bei dem das Indexniveau bereits nach sieben Monaten wieder erreicht wurde, bis zur Ölpreiskrise 1973/74, nach der rund siebeneinhalb Jahre bis zur vollständigen Rückkehr auf das Vor­krisenniveau vergingen. Im Median waren starke Rückgänge deut­lich schneller aufgeholt: Nach zwei bis drei Jahren lagen die Kurse in der Regel wieder auf Vorkrisenniveau.

Tabelle 1: Stressphasen in den USA seit 1945, S&P500®, Kursindex ohne Dividenden

MULTI ASSET IM PORTRÄT
 

Bemerkenswert ist die Performance nach dem Erreichen signifi­kanter Kursrückgänge. Anleger, die in Phasen starker Marktver­werfungen in den S&P500® investierten – konkret in einem Bä­renmarkt nach einem Rückgang von mehr als 20 Prozent – konn­ten in der Vergangenheit überdurchschnittliche Renditen erzielen. Historisch betrachtet lag die durchschnittliche Rendite ein Jahr nach der Krise bei rund 14 Prozent, fünf Jahre nach einem solchen Einstiegszeitpunkt bei +53 Prozent, nach zehn Jahren sogar bei +133 Prozent – jeweils ohne Berück­sichtigung von Dividenden. Zum Vergleich: das durchschnittliche jährliche Wachstum des S&P500® seit 1945 beträgt 8 Prozent.
 

 

BEITRAG BÖRSEN-ZEITUNG
 

 

Für Kapitalmarktanleger


Welche Lehren können Anleger in der aktuellen Situation aus der Geschichte ziehen? Erstens können externe Schocks wie die US-amerikanischen Zoll­politik die Aktien­märkte nicht langfristig aus dem Tritt bringen. Die globalen Macht­verhältnisse und Handels­ketten werden sich zukünftig zwar verschieben, die Unternehmen können sich aber darauf einstellen. Zudem kann sich auch die US-amerikanische Politik einer Disziplinierung durch die Finanz­märkte nicht entziehen und dürfte ihre Wirtschafts­politik entspre­chend anpassen. Das Aussetzen vieler Zölle im Zuge stark gestie­gener Zinsen auf US-amerikanische Staats­anleihen ist ein erster Indikator dafür. Zweitens gehören Krisen zur Natur der Aktien­märkte. Sie führen zu einer Bereinigung der Investitions­landschaft und stärken die Innovations­kraft der Unternehmen. Drittens kön­nen Stress­phasen günstige Einstiegs­chancen bieten, um über­durchschnittliche Renditen zu erzielen. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass die zwischenzeitlichen Verluste sehr umfangreich ausfallen können. Ebenso können sich Krisen über viele Jahre strecken. Umso wichtiger ist es, dass sich Anleger gemäß ihrem persönlichen Rendite-Risiko-Profil für ein Investment entschei­den. Langfristig orientierte Anleger mit höherer Risiko­toleranz können Phasen hoher Volatilität gezielt nutzen, während konser­vative Investoren eher von einer breit diversifizierten Asset-Allo­kation profitieren. Aktive Diversifikation über mehrere Asset-Klassen hinweg kann Kurs­verluste und Volatilität am effektivsten im Rahmen halten.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 13. Mai 2025 auf der Website der Börsen-Zeitung.

CIO Multi Asset

Thomas Romig

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