Perspectives 31.07.2025

Zwillingsdefizit in den USA: Mehr als nur ein Schönheitsfehler?

PERSPECTIVES | Nr. 34

  • Das zeitgleiche Auftreten eines Haushalts- und eines Leistungs­bilanz­defizits gilt als strukturelles Merkmal der US-Volks­wirtschaft.
  • Doch aktuell erreicht die Kombination aus steigender Zinslast, expansiver Fiskal­politik und wachsendem Protek­tionismus eine neue Qualität.
  • Für global aufgestellte Anleger bleibt ein differenzierter Blick auf die fiskalische Nach­haltigkeit der USA und die Wechselkurs­risiken unerlässlich, um gegebenen­falls rasch reagieren zu können.


Die US-amerikanischen Finanz­märkte dominieren das globale Finanz­system. Mit 59 Billionen US-Dollar entfallen etwa 63 Pro-zent der weltweiten Markt­kapitalisierung von Aktien im Streu­besitz auf die USA, während US-Anleihen mit 58 Billionen US-Dollar rund 40 Prozent der globalen Anleihe­märkte ausmachen. Damit sind die US-Aktien­märkte beinahe sechsmal und die An­leihemärkte in etwa doppelt so groß wie ihre europäischen Pen­dants. Hinzu kommt die heraus­ragende Bedeutung des US-Dollars als Leit­währung – rund 58 Prozent der weltweiten Devisen­reser­ven der Zentral­banken werden in Dollar gehalten.

Abb. 1: Zwillingsdefizit: Leistungsbilanz- und Haushaltssalden der USA

In % des Bruttoinlandprodukts

Die Tiefe und Liquidität der US-Finanz­märkte haben es den USA über Jahr­zehnte ermöglicht, gleich­zeitig erhebliche Haushalts- und Leistungs­bilanz­defizite zu finanzieren. Das sogenannte "Zwil­lings­defizit", also das zeitgleiche Auftreten eines Haushaltsdefizits und eines Leistungs­bilanz­defizits, gilt seit vielen Jahren als struk­turelles Merkmal der amerikanischen Volkswirtschaft. Investoren sahen es lange Zeit als zweit­rangigen Schönheits­fehler, der die Attraktivität der Vereinigten Staaten kaum beeinträchtigte. Mitt­lerweile deutet sich jedoch ein substan­zieller Stimmungs­wandel an. Einerseits verschlechtert sich die Haushalts­lage der USA zu­sehends, anderer­seits verunsichert der protektionistische Kurs der Trump-Administration zur Reduktion des Außenhandels­defi­zits zunehmend die Märkte.
 

Hohe Zinslast schmälert die fiskalische Handlungsfähigkeit


Die Staats­verschuldung der USA liegt derzeit bei etwa 120 Prozent des Brutto­inlands­produkts (BIP) und erreicht damit ein historisch hohes Niveau. Gleichzeitig führen die seit 2022 deutlich restrikti­vere Geldpolitik und das gestiegene Zins­umfeld zu spürbar höhe­ren Finanzierungskosten. Der durch­schnittliche Zins­satz auf US-Staats­schulden, der Markt­entwick­lungen typischer­weise mit einer gewissen Zeit­verzögerung folgt, liegt inzwischen bei drei Prozent – rund einen Prozent­punkt höher als noch im Jahr 2020. Bei einer Gesamt­verschuldung von mehr als 36 Billionen US-Dollar stellt dieser Anstieg einen erheblichen Belastungs­faktor dar. Inner­halb von nur drei Jahren haben sich die jähr­lichen Zins­ausgaben der USA verdoppelt und betragen mittler­weile rund 1,1 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Die Verteidigungs­ausgaben des Landes liegen aktuell knapp unter einer Billion US-Dollar. Die rapide gestiegenen Zins­verpflichtungen schränken somit den fiskali­schen Handlungs­spielraum der Regierung erheblich ein.

Zinszahlungen werden zunehmend zu einer Belastung

Durchschnittszinsen als Quotient von Zinszahlungen und Gesamt­verschuldung

Die expansive Fiskal­politik unter Donald Trump verschärft die Lage zusätzlich. Das inzwischen verabschiedete Steuer­paket ("Big Beautiful Bill") wird die Staats­verschuldung in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich um weitere drei Billionen US-Dollar erhöhen, wodurch das jähr­liche Defizit auf über sieben Prozent des BIP ansteigen könnte. Es droht eine Schulden­spirale, in der ständig neue Kredite allein zur Finanzierung des Schulden­diens­tes benötigt werden. Die lang­fristige fiskalische Stabilität der Vereinigten Staaten kann dadurch ernsthaft gefährdet werden, insbesondere dann, wenn die Zinsen weiter nach oben gehen.

Die US-Regierung erzeugt mit ihrer aktuellen Politik einen Ziel­konflikt, der die Glaub­würdigkeit der US-Wirtschaft dauerhaft destabilisieren könnte.

US-Zollpolitik belastet Verbraucher und Investitionen


Parallel zur expansiven Fiskal­politik versucht der amerikanische Präsident, das Leistungs­bilanzdefizit über Handels­zölle zu ver­kleinern oder ganz zu schließen. Nahezu alle Importe wurden mit Zöllen belegt, um das Handels­defizit zu reduzieren und die heimi­sche Industrie zu stärken. Die Hoffnung ist, dass amerikanische Firmen mehr produzieren, mehr verdienen und neue Jobs schaf­fen. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit, denn für Konsu­menten wirken die Zölle wie eine Verbrauchs­steuer. Konsum­güter werden teurer und die Kaufkraft verringert sich entsprechend. Das "Budget Lab" der Yale University schätzt, dass die Zölle das Preis­niveau im Jahr 2025 um 1,5 Prozent erhöhen – gleichbedeu­tend mit einem Rück­gang der realen Kaufkraft der amerikani­schen Haus­halte von durchschnittlich 2.000 US-Dollar. Zusätzlich belasten die unklare Ausrichtung der Handels- und Fiskal­politik, sowie die ständigen Ankündigungen und Verschiebungen von Zöllen die Investitions­planungen der Unternehmen erheblich. Firmen sehen sich mit einer hohen Unsicherheit konfrontiert, die langfristige Investitions­entscheidungen erschwert oder sogar ver­hindert. In Folge können dringend benötigte Investitionen aus­bleiben und langfristig die Wettbewerbs­fähigkeit sowie das Wachstums­potenzial der US-Wirtschaft beeinträchtigt werden.
 

Zielkonflikt von Handels- und Fiskalpolitik


Zudem stellt sich die Frage, ob eine expansive Fiskalpolitik über­haupt mit einer protektionistischen Handels­strategie in Einklang gebracht werden kann. Hohe Haushaltsdefizite erhöhen typi­scherweise die Inlands­nachfrage, entweder durch direkte öffent­liche Investitionen oder durch Steuer­erleichterungen, die Haus­halte und Unternehmen zu höherem Konsum und höheren Inves­titionen veranlassen. Wenn allerdings kurzfristig keine ausrei­chenden heimischen Produktions­kapazitäten aufgebaut werden können – was in den USA angesichts des angespannten Arbeits­marktes, einer hohen Kapazitäts­auslastung sowie jahrzehntelang gewachsener globaler Liefer­ketten schwierig erscheint – müssen die zusätzlich nachgefragten Güter importiert werden.

Dies führt zwangsläufig zu einem höheren Leistungs­bilanzdefizit. Die makro­ökonomische Identität, dass die Differenz zwischen den inländischen Ersparnissen und Investitionen dem Leistungs­bilanz­saldo entspricht, gilt weiterhin uneingeschränkt. Ein steigen­des Staats­defizit bei gleichzeitig konstanten oder rückläufigen privaten Ersparnissen mündet deshalb unweigerlich in einem wachsenden Leistungs­bilanz­defizit. Besonders kritisch wird diese Entwicklung, wenn die fiskalischen Maßnahmen konsum­orientiert und nicht produktivitäts­steigernd wirken.

Die US-Regierung erzeugt mit ihrer Politik daher einen Zielkon­flikt: Einerseits sollen heimische Unternehmen durch Handels­barrieren geschützt werden, andererseits wird durch expansive Fiskal­maßnahmen eine Import­nachfrage generiert, die das Leis­tungsbilanzdefizit weiter verschärft. Dieser inhärente Widerspruch könnte langfristig die Glaubwürdigkeit und Effektivität der US-Wirtschaftspolitik beeinträchtigen und erhöht das Risiko makro­ökonomischer Instabilität.


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Für Kapitalmarktanleger


Das US-Zwillings­defizit ist kein neues Phänomen – doch die Kom­bination aus steigender Zinslast, expansiver Fiskalpolitik und wachsendem Protektionismus stellt eine neue Qualität dar. Kurz­fristig dürfte die Tiefe der US-Kapitalmärkte Kapitalzuflüsse wei­terhin sicherstellen. Langfristig aber könnte die Bereitschaft in­ternationaler Investoren, das Defizit zu finanzieren, schwinden – mit möglichen Folgen für den US-Dollar und die Risikoprämien am Anleihemarkt. Die starke Abwertung des US-Dollars bei gleich­zeitig über 4 Prozent liegenden Renditen auf 10-jährige Staats­anleihen seit Jahresbeginn könnte hierfür ein Indikator sein. Für global aufgestellte Anleger bleibt daher ein differenzierter Blick auf die fiskalische Nachhaltigkeit der USA und die Wechselkurs­risiken unerlässlich. Ebenso wichtig ist es, das Portfolio hinsicht­lich Duration und Währungsallokation flexibel zu halten, um rasch auf neue Marktentwicklungen reagieren zu können.


Dieser Artikel ist zuerst online erschienen am 22. Juli 2025 in der Börsen-Zeitung.
 

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